Neumann, Erika

Künstler - Freundeskreis Bildende Kunst Oldenburg e.V.

Auf dem Boden sitzende Frau, Nr. 34 - 50 1983 - 1992 / Tusche / 41x29,5

Neumann, Erika

Nachlassverwalter

Neumann, Andreas

Adresse

Konradstr. 1, 80801 München

Telefon

089-12003096

E-Mail

58.neumann.andreas@gmail.com

Homepage

Beschreibung

Malerei, Zeichnung, Grafik

Erika Neumann, geb. Rühe *1922 (Oldenburg) + 2019 (Oldenburg)

Ca. 1942 Zeichenkurse bei Wilhelm Kempin in Oldenburg

Private Zeichenschule bei Hein König („Die Form“ )in München
Private Zeichenschule von Wilhelm Georg Maxon in München
Akademie der Künste in München, Klasse von Prof. Adolf Schinnerer
Keramische Fachschule in Höhr-Grenzhausen

Ca. 1949 Werkkunstschule Braunschweig, Klasse von Prof. Paul Egon Schiffers

Private Bildhauerwerkstatt in Bremen bei Professor Ernst Gorsemann

1958 Geburt ihrer Kinder

1960 Gestaltung des Kirchenportals der St. Johannes Kirche in Oldenburg/Kreyenbrück

Gemeinsame Atelierarbeit (Zeichnung und Plastik) mit ihrem Mann Fritz Neumann

1971 Gestaltung des Taufsteins für die Neue Evangelische Kirche auf der Insel Spiekeroog

1979 Gestaltung des Paul Gerhardt Gedächtnis Reliefs am Paul Gerhardt Haus in Brake

Eine kunsthistorische Überlegung zu zwei unbekannten Künstlern
Der Nachlass von Fritz (1922–2014) und Erika Neumann (geb. Rühe, 1922–2019) ist ein Anlass, um über die „gemäßigte Moderne“ nachzudenken. Mit diesem Begriff wird ein für die Kunstgeschichte schwierig fassbares Phänomen angedeutet. Die Wissenschaft konzentriert sich auf fortschrittliche Entwicklungen und einen imaginären Fluss der Geschichte. Sie neigt dazu, jede Abweichung, die schneller als das geläufige Schema ist, als „Avantgarde“ zu loben, und was langsamer erscheint mit dem Etikett „konservativ“ zu versehen, woraus dann meistens Nichtbeachtung folgt. Zusammenhängende Konvolute wie dieser Nachlass ermöglichen dagegen einen differenzierten Blick, auf Zusammenhänge, die sonst übersehen wird. Dann werden Qualitäten der einzelnen Werke nachvollziehbar.
Beide Neumanns haben um 1950 bei Paul Egon Schiffers (1903–1987) studiert. Dieser Bildhauer pflegte an der Werkkunstschule in Braunschweig eine „Berliner“ Auffassung von Form. Dabei ging es erst einmal darum, intensives Naturstudium zu betreiben, um dann ein eigenständiges Bild dafür zu entwickeln, das dem Gegenstand gerecht wird. Den meisten Arbeiten des Ehepaars verbindet diese Haltung: Form durfte nie Selbstzweck werden; Natur nicht dominieren. Spannend an dem Nachlass ist die Fülle an Arbeitsmaterial, die zeigt, wie beide diese Grundhaltung entwickelten, pflegten und verwarfen.
Aus den undatierten frühen Zeichnungen von Erika Rühe wird sichtbar, was diese Lehre bedeutete. Als junge Frau lernte sie in den frühen 1940er-Jahren den zeittypischen akademischen Naturalismus. Der Zeichenunterricht für Mädchen im Dritten Reich zielte zu allererst auf Detailtreue. Ihre Aktstudien atmen dagegen den modernen Geist der Berliner Bildhauerei und sind daher später zu datieren: Details sind unwichtig. Zentral ist eine Struktur, die sich wandelt, sobald der dargestellte Mensch sich bewegt. Es geht nicht darum, zu zeichnen, was bloß sichtbar ist, sondern zu zeigen, wie sich eine Form im Raum entfaltet. Zwei kleine Skizzen einer Samariterszene demonstrieren, wie aus einer biblischen Szene ein räumlicher Aufbau wird. Die große Frage bei aller gegenständlichen Kunst ist, wo der betreffende Künstler den Schwerpunkt legt. Bei Erika Neumann lässt sich beobachten, wie sie sich vom Naturalismus befreit und zu einer modernen Auffassung von Figur findet.
Ihr späterer Ehemann konnte dagegen sofort „in der Moderne“ anfangen. Bis auf wenige im Krieg schwer verwundete Soldaten gab es in seiner Generation kaum Männer, die in den frühen 1940er-Jahren in deutschen Akademien studierten. Er musste sich also erst gar nicht von der detailversessenen Naturnachahmung befreien. Es sind einige Zeichnungen aus Neumanns Zeit bei Schiffers überliefert, aber er hat das dort gelernte bald hinter sich gelassen. Seine Holzschnitte und frühen Gemälde zeigen deutlich, wie er die Kunst rezipierte, die zuvor als „entartet“ gegolten hatte. Vor allem Emil Nolde (1867–1956) war eine Inspirationsquelle. Damit wurde Neumann ein typischer Vertreter eines norddeutschen iSpätexpressionismus zwischen Worpswede und Oldenburg der Jahre um 1960. Sie blieb dagegen bis auf wenige Ausnahmen näher an der Wirklichkeit und in ihrem Oeuvre tauchen schnell notierte Beobachtungen auf, die ihr Interesse am Alltäglichen und ihre Fähigkeit zur prägnanten zeichnerischen Umsetzung demonstrieren. Seine Werke sind immer weiter von der Natur entfernt.
In den späten 1960er-Jahren fing Fritz Neumann, von dem wenige frühe Werke bekannt sind, wieder mit Bildhauerei an. Ausgangspunkt war aber nicht das Naturvorbild, sondern die Auseinandersetzung mit dem Stein und der Schwierigkeit in dem harten Material konvexe Flächen zu gestalten. Daraus entwickelte er seine blockhafte Skulpturensprache und seine Zeichnungen halten Kompositionsideen und Zwischenergebnisse dazu fest. Der Eindruck entsteht, als habe er in der Formensprache des Spätkubismus Möglichkeiten für eine ihm gemäße Steinbildhauerei gefunden.
Bis zu seinem Tod 2014 arbeitete das Ehepaar nebeneinander. Es existieren einzelne Blätter, die eine gegenseitige Beeinflussung verraten, aber die Gegensätze überwiegen. Während er in einer Reihe von späten Selbstportraits sein Gesicht in kleinen Flächen aufteilte und eine Vorliebe für feinste Schraffuren entwickelte, sind ihre späten Aktzeichnungen konstruierte Gestalten, die demonstrieren, dass sie wusste, wie Natur aufgebaut ist, aber auch echt froh war, sie mal loszulassen.

Dr. Arie Hartog, Gerhard-Marcks-Haus Bremen, 2020